"Von Angesicht zu Angesicht" – Gedanken zum 3. Ökumenischen Kirchentag von Pfarrer Miron
0. Es gibt einen Text über den Heiligen Makarios von Ägypten, den großen Wüstenvater des 4. Jahrhunderts, er ist dem Paterikon (Buch der Vätersprüche) (Migne Patrologia Graeca 34,257) entnommen. Er lautet (in freier Übersetzung) so: „Eines Tages trifft Altvater Makarios bei einem Spaziergang in der Wüste auf einen Totenschädel, und es ergibt sich ein Gespräch. Makarios fragt: Wer bist du? Der Schädel antwortet: Ich war Priester unter den Heiden. Jetzt bin ich aber in der Hölle. Wenn du für uns, die wir in der Hölle sind, betest, erfahren wir eine große Erquickung. Makarios fragt nach: Wie ist das in der Hölle, was bedeutet Erquickung? Und der Schädel erläutert ihm dann: Wir stehen inmitten von hohen Flammen und leiden große Qualen. Deren schlimmste aber ist, dass wir Rücken an Rücken gefesselt sind und das Gesicht des Anderen nicht sehen können - das ist die eigentliche Hölle! Wenn du aber für uns betest, lockern die Fesseln sich, und wir können einander wieder ansehen, VON ANGESICHT ZU ANGESICHT. Das ist unsere Erquickung!“
Der Dialog des Mönchs Makarios mit dem Schädel spricht metaphorisch von der Beziehung des Menschen mit dem Anderen; dem Mitmenschen. In der Antike hieß es "homo homini lupus" (Der Mensch ist für den anderen ein Wolf) und in der Moderne drückt Jean-Paul Sartre es noch tragischer aus, wenn er sagt "L´enfer c´est l´autre" (Der Andere ist meine Hölle). Im gerade wiedergegebenen Dialog des Makarios wird jedoch eine andere, die christliche Überzeugung ausgedrückt, die genau das Gegenteil meint, nämlich, dass nicht die Anwesenheit, sondern die Abwesenheit des Mitmenschen, das Fehlen von Kommunikation, die Einsamkeit, es ist, was uns Höllenqualen bereitet.
Vor einigen Jahren hat zu diesem Thema „Von Angesicht zu Angesicht“ ein Kunstwettbewerb der Orthodoxen Akademie von Kreta stattgefunden. Die insgesamt 350 Kunstwerke zu diesem Thema (Malereien, Graphiken, Plastiken und Collagen, aber auch Gedichte, Texte, Theaterstücke oder musikalische Kompositionen) zeigen den Menschen in vielen Situationen, welche aus der Tatsache des Rücken-an-Rücken-gefesselt-Seins resultieren, sie zeigen ihn in der Entfremdung vom Mitmenschen, und daraus ergibt sich dann die Entfremdung von der Umwelt überhaupt und von Gott. So lassen sich aus dieser kurzen Erzählung Themen wie Krieg, Folter, Terrorismus, Entwurzelung von Menschen und Völkern, Rassismus, Intoleranz, fehlende Solidarität, fehlende Zukunftsaussichten, Umweltzerstörung durch Industrialisierung und ihre Folgen, um nur einige zu nennen, ableiten. Viele der Kunstwerke drücken aber auch die Hoffnung und die Aussicht auf Erlösung aus, auf einen Ausweg aus diesen schrecklichen Situationen; die Hoffnung also darauf, dass der Mensch besser wird - sowohl gegenüber sich selbst, als auch gegenüber seinen Mitmenschen.
1. Ein dritter ökumenischer Kirchentag in Brühl, der unter dem Thema „Von Angesicht zu Angesicht“ steht, hat dementsprechend eine ganze Bandbreite von Fragestellungen, die angesprochen werden können. Für mich selbst steht allerdings die gegenseitige Beziehung zwischen Gott und dem Menschen im Vordergrund. Gott, der Schöpfer erschafft den Menschen als Person („nach Seinem Bild und zu Seiner Ähnlichkeit“) und der Mensch spricht ihn personal („Vater unser“) an. In seinem Sohn Jesus Christus sind wir Ihm „von Angesicht zu Angesicht“ begegnet und wir begegnen Ihm weiterhin so. In Kürze werden wir es wieder singen „Wie soll ich dich empfangen und wie begegn‘ ich dir?“ Ein erster thematischer Schwerpunkt wird also ein buchstäblich „theo-logischer“ (über Gott sprechender) sein. Und auch das Sprechen mit Gott, das Beten, ist das A und O eines Kirchentags.
2. Daneben wird natürlich die Begegnung mit dem Mit-Menschen inhaltlich auszufüllen sein. All unser soziales Tun, all das was wir als Christenmenschen für die Anderen und mit den Anderen tun, ist ja im Grunde von dieser Ebenbildlichkeit des Menschen abgeleitet. Und ebenso maßgeblich sind auch die Worte unseres Herrn beim Weltgericht (Mt 25), der sich „mit den geringsten seiner Brüder“ identifiziert, sind hier zu nennen: „Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt, und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank, und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen.“
3. Das bisher Gesagte könnte auch ein „Brühler Evangelischer Kirchentag“ oder ein „Brühler Katholikentag“ leisten. Nun handelt es sich aber um einen „Ökumenischen Kirchentag“, der also die Tatsache, dass wir in ökumenischer Gemeinschaft leben und handeln, darstellen soll. Deshalb wird auch die Begegnung unserer Kirchen „von Angesicht zu Angesicht“ vorkommen. Was haben wir erreicht? Wo sind noch Fortschritte möglich? Was bedeutet Ökumene im 21. Jahrhundert für uns? Gibt es eine missionarische Ökumene? Diese und andere Fragen stellen sich auf einer derartigen Veranstaltung. Und natürlich muss in einer Stadt, in der die Kirchen in vorbildlicher Weise das Gespräch mit den Muslimen suchen, auch dieses präsentiert bzw. thematisiert werden.
4. Fassen wir zusammen: von Angesicht zu Angesicht begegnen wir uns hier in unserer Stadt, als Bürgerinnen und Bürger, als Christen, als Kirchengemeinden, als Religionen und Weltanschauungen. Das Verhältnis von Mann und Frau, oder von Eltern und Kindern, lässt sich ebenso darunter fassen wie das Zusammenleben von deutschen und nicht deutschen Bewohnern Brühls. Ein Ökumenischer Kirchentag gibt vielen unserer Initiativen und Gruppen die Möglichkeit, sich unter dieser Überschrift einzubringen.
Eine der rätselhaftesten Geschichten des Alten Testaments, die sich in Genesis 32 findet, könnte dabei einer der biblischen Ausgangspunkte unseres Kirchentages sein: „In derselben Nacht stand Jakob auf, nahm seine beiden Frauen, seine beiden Mägde sowie seine elf Söhne und durchschritt die Furt des Jabbok. Er nahm sie und ließ sie den Fluss überqueren. Dann schaffte er alles hinüber, was ihm sonst noch gehörte. Als nur noch er allein zurückgeblieben war, rang mit ihm ein Mann, bis die Morgenröte aufstieg. Als der Mann sah, dass er ihm nicht beikommen konnte, schlug er ihn aufs Hüftgelenk. Jakobs Hüftgelenk renkte sich aus, als er mit ihm rang. Der Mann sagte: Lass mich los; denn die Morgenröte ist aufgestiegen. Jakob aber entgegnete: Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest. Jener fragte: Wie heißt du? Jakob, antwortete er. Da sprach der Mann: Nicht mehr Jakob wird man dich nennen, sondern Israel (Gottesstreiter); denn mit Gott und Menschen hast du gestritten und hast gewonnen. Nun fragte Jakob: Nenne mir doch deinen Namen! Jener entgegnete: Was fragst du mich nach meinem Namen? Dann segnete er ihn dort. Jakob gab dem Ort den Namen Penuël (Gottesgesicht) und sagte: Ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen und bin doch mit dem Leben davongekommen.“
Von Angesicht zu Angesicht….
Brühl, 24. November 2011